Bei der Arbeit können traumatische oder verstörende Ereignisse passieren: Ein schwerer Unfall geschieht, man erlebt unverhofft einen Überfall hautnah mit oder man wird verbal oder gar tätlich von Kunden oder Kollegen angegangen. Diese Ereignisse geschehen in den meisten Betrieben selten, sind aber für Betroffene belastend und können für den Betrieb auch wirtschaftlichen Schaden oder gar einen Imageverlust bedeuten.
Umso besser ist es, für den Ernstfall gut gerüstet zu sein, um im Notfall sicher handeln zu können.
Traumatische Ereignisse
Sind verstörende Ausnahmen von den normalen Geschehnissen des Alltags. Sie passieren selten, sind aber hoch belastend und folgenschwer. Ein Psychotrauma wird durch ein Ereignis oder eine Situation mit einer außergewöhnlichen Bedrohung oder einem katastrophenartigen Ausmaß ausgelöst. Die Betroffenen erleben eine Konfrontation mit tatsächlichem oder drohendem Tod, schwerwiegenden Verletzungen oder sonstigen Gefahren für die Unversehrtheit der eigenen Person oder anderer Personen. Charakteristisch sind das Erleben von starker Angst, Bedrohtsein, Hilflosigkeit und Entsetzen.
Nicht nur Geschehnisse wie Naturkatastrophen oder Großschadensereignisse stellen eine Gefährdung dar. Es gibt auch die schwerwiegenden Ereignisse mitten im Arbeitsalltag, die nur von wenigen erlebt und durchlitten werden, welche aber für die direkt Betroffenen und unmittelbaren Zeugen eine echte Katastrophe sind, z. B.:
- ein schwerer Arbeitsunfall
- ein Raubüberfall
- ein Amoklauf
- ein Suizid oder Suizidversuch von zu betreuenden Personen.
Wann spricht man von Gewalt und Aggression?
Für eine zielgerichtete Gefährdungsbeurteilung und Festlegung der notwendigen Maßnahmen und Notfallpläne ist es wichtig die Definition zu erläutern:
Man spricht von Gewalt und Aggression, wenn die Handlung einer Person einer anderen Person – körperlich oder seelisch – schadet oder schaden kann oder von ihr als bedrohlich wahrgenommen wird.
Neben körperlicher Gewalt und Aggression gehören auch nonverbale Drohungen durch Mimik und Gestik sowie Beschimpfungen und Beleidigungen dazu. Entscheidend für Betroffene ist das subjektive Erleben von Aggression oder Bedrohung, von Beleidigung oder Belästigung. Das heißt, die Wahrnehmung der betroffenen Person soll nicht infrage gestellt werden.
Mitarbeitende am Arbeitsplatz schützen - Praktisches Vorgehen
Arbeitgeberin und Arbeitgeber können ihre Beschäftigten und auch ehrenamtlich Tätige vor schweren Unfällen, aber auch vor Beleidigungen, Bedrohungen, sexuellen Belästigungen, psychischen wie physischen Verletzungen schützen. Grundlage dafür ist immer die Gefährdungsbeurteilung gemäß DGUV Vorschrift 1 in Verbindung mit den Paragraphen vier und fünf des Arbeitsschutzgesetzes. Die Dokumentation erfasst auch Gefährdungen durch traumatische Ereignisse wie gewalttätige Übergriffe oder schwere Unfälle. Schutzmaßnahmen können zielgerichtet umgesetzt werden.
Handlungsbedarf prüfen
Einen ersten Überblick zu Gefährdungen und Handlungsbedarf bietet z.B. die Risikomatrix und auch die Prüfliste Psychotrauma der Unfallversicherung Bund und Bahn. Leitet sich hier oder aus der Gefährdungsbeurteilung kein Handlungsbedarf ab, so brauchen keine weiteren Maßnahmen getroffen werden. Trotzdem sollte das Ergebnis dokumentiert werden.
Ergibt sich aus der ersten Prüfung Handlungsbedarf, so muss die Gefährdungsbeurteilung angepasst werden. Mit einer Gefährdungsbeurteilung zum Thema „Gewalt und Aggression" erhält man einen ersten Überblick über die tatsächliche Situation im Betrieb und den Beschäftigten. Dies kann als Grundlage dienen, um ein Präventionskonzept zu entwickeln und wirksame Maßnahmen abzuleiten. Dabei ist zu beachten, dass die bisher veranlassten Maßnahmen ständig zu prüfen und bei Bedarf anzupassen sind.
„Beleidigungen erfordern eine andere Strategie als Angriffe mit Waffen!"
Beim Aufbau einer gezielten Notfallorganisation bietet das „Aachener Modell". (Siehe Broschüre „Gewaltprävention – Ein Thema für öffentliche Verwaltungen?!" oder https://praeventionsportal.de/betriebsart/allgemein.php), insbesondere zur Reduzierung von Bedrohungen und Übergriffen am Arbeitsplatz mit Publikumsverkehr eine gute Grundlage und Hilfestellung. Mit diesem Leitfaden werden Betriebe im Lösungsprozess unterstützt. Schritt für Schritt hilft das Modell dabei, Gefährdungsstufen zu erkennen, Lösungsmöglichkeiten zu finden und im Betrieb sichere und gewaltfreie Arbeitsbedingungen zu schaffen.
Eindeutig Stellung beziehen und Arbeitsplätze sicher gestalten
Ausgehend von einer klaren Position des Betriebes mit „Null-Toleranz-Haltung" gegenüber Gewalt sind eine technisch sichere Ausstattung und eine gute Organisation der Arbeit wichtige Ansatzpunkte.
Möblierung, Beleuchtung, die Gestaltung von Wartebereichen und Fluren, Alarmsysteme, aber auch Terminvergabe und Transparenz sollten bei der Umsetzung auf den Prüfstand.
Nach dem S-T-O-P Prinzip ist auch beim Umgang mit dem Thema „Gewalt und Aggression" eine gute Struktur gegeben. (Infografik: Quelle Arbeit & Gesundheit 2|2021 Tatort Arbeitsplatz)
Notfallkonzept
In einem Notfallkonzept sowie im „Notfallordner" finden Abläufe und organisatorische Regeln ihren Platz. Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern können so einfach informiert werden und im Ernstfall sind die Informationen schnell zur Hand. Auch im Intranet können die Unterlagen eingestellt werden.
Eine Vorlage für einen Notfallordner findet sich im Anhang der Broschüre „Aachener Modell".
Mögliche Bausteine für Notfallkonzept und -ordner:
- Grundsatzerklärung gegen Gewalt
- Notfallplan einschließlich innerbetrieblicher und externer Meldewege
- Räumungsplan, Flucht- und Rettungswege, Sammelplätze
- Wichtige Interne und externe Telefonnummern
- Festlegung von Verantwortlichkeiten, insbesondere der Koordinatorin oder des Koordinators (Kümmerer)
- Erstbetreuung am Ereignisort
- Abstimmung mit GUVH / LUKN
- Muster für Unfallanzeigen
- Informationen sowie Formblatt zu Strafanzeigen
- Maßnahmen bei Rückkehr der Betroffenen an den Arbeitsplatz (Betriebliches Eingliederungsmanagement – BEM)
Eine gute Übersicht zum Aushang oder zur Veröffentlichung im Intranet bietet auch ein Notfallplan (einseitig) mit den Punkten:
- Wo und wie wird der Unfall gemeldet (innerbetriebliches Telefon, Handy)?
- Wer wird von wem, wann und wie über das Ereignis und den Zustand der Betroffenen informiert?
- Wer übernimmt die Erstbetreuung, wie werden die Erstbetreuerinnen oder Erstbetreuer alarmiert?
- Wer im Betrieb nimmt bis spätestens wann Kontakt mit den Betroffenen auf?
- Wer nimmt bei Bedarf Kontakt zu Angehörigen auf (z.B. Unternehmerin oder Unternehmer, Führungskraft, mit Erstbetreuung/Notfallseelsorge beauftragte Person, Kümmerer)?
Beschäftigte qualifizieren und beteiligen
Wissen schafft Sicherheit. Dazu gehört einerseits die Unterweisung zu den erarbeiteten Konzepten, aber auch Trainings zu Deeskalation- und Kommunikation können helfen. Mitarbeitende bereits an der Ausarbeitung zu beteiligen, kann sehr motivierend wirken - sie sind die Experten vor Ort. Die Personalvertretung sollte ebenso einbezogen werden wie die Sicherheitsbeauftragte.
Führungskräfte übernehmen Verantwortung
Führungskräfte werden mit der Umsetzung der Konzepte und Maßnahmen ihrer Verantwortung zum Schutz der Beschäftigten gerecht. Bei der Erstellung unterstützen die Fachkraft für Arbeitssicherheit und die Betriebsärztin oder der Betriebsarzt und GUVH / LUKN.
Unterstützung von GUVH / LUKN nutzen
Beratung vor Ort im Betrieb, Seminare und finanzielle Unterstützung sind einige Angebote – zur Ausbildung betrieblicher psychologischer Ersthelfer und beim Aufbau eines Deeskalationsmanagements.
Weitere Informationen zum Thema finden Sie hier:
Broschüre „Gewaltprävention – Ein Thema für öffentliche Verwaltungen?!" (Aachener Modell)https://praeventionsportal.de/betriebsart/downloads/GUVH_2020_Gewaltpraevention.-Ein-Thema-fuer-oeffentliche-Verwaltungen..pdf
DGUV Information 206-017 "Gut vorbereitet für den Ernstfall"
https://publikationen.dguv.de/regelwerk/dguv-informationen/2910/gut-vorbereitet-fuer-den-ernstfall-mit-traumatischen-ereignissen-im-betrieb-umgehen
DGUV Information 206-015 „Alles für den Kunden? Arbeitsbelastungen und Bedrohungen an Arbeitsplätzen mit Kundenkontakt"
https://publikationen.dguv.de/regelwerk/dguv-informationen/784/alles-fuer-den-kunden-arbeitsbelastungen-und-bedrohungen-an-arbeitsplaetzen-mit-kundenkontakt?number=SW14784
DGUV Information 207-025 „Prävention von Gewalt und Aggression im Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege - eine Handlungshilfe für Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen"
https://publikationen.dguv.de/regelwerk/dguv-informationen/3429/praevention-von-gewalt-und-aggression-im-gesundheitsdienst-und-wohlfahrtspflege-eine-handlungshilfe
Handlungsleitfaden zur Prävention von Übergriffen in öffentlichen Einrichtungen. (UK BW)
https://www.guvh.de/praevention/projekte-program-me/GUVH_2014_Handlungsleitfaden_zur_Praevention_von_Uebergriffen_in_oeffentlichen_Einrichtungen.pdf?m=1536311018&
Dialog zum Thema Gewalt in der DGUV-Kampagne „Kultur der Prävention"
https://www.kommmitmensch.de/toolbox/mediathek/weitere-kampagnenmedien/
https://www.guvh.de/praevention/kampagnen/Materialien_und_Medien.php
Prävention von Übergriffen im öffentlichen Dienst durch Deeskalationsmanagement (GUVH / LUKN)
https://www.guvh.de/downloads/Broschuere_Deeskalationsmanagement_GUVH-LUKN_08-18_HP.pdf?m=1536650533&
Unterstützung durch GUVH/LUKN
Hinschauen und Verantwortung übernehmen - Flyer Deeskalation
https://www.lukn.de/praevention/projekte-programme/Flyer_Deeskalation-0620_final.pdf?m=1600766337&
Deeskalationsmanagement aufbauen mit Unterstützung durch GUVH/LUKN
https://www.lukn.de/praevention/projekte-programme/deeskalationsmanagement.php
„Psychologische Erste Hilfe" anbieten- Förderung von Schulungen
https://www.lukn.de/praevention/projekte-programme/psychologische_erste_hilfe.php
Seminare Gewaltprävention (In Vorbereitung für 2022)
"Deeskalationsmanagement für interessierte Mitgliedsunternehmen"
"Gewalt gemeinsam begegnen – Gewaltprävention und Deeskalation am Arbeitsplatz"
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Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher/weiblicher/diverser Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.